Der demografische Wandel stellt Unternehmen in den kommenden Jahren vor erfolgsentscheidende Herausforderungen. Innovative Betriebe bemühen sich schon heute darum, dass sie in Zukunft qualifiziertes Personal an Bord haben.
„EU empfiehlt Pension erst mit 70“, lauteten unlängst die Schlagzeilen vieler Zeitungen. Diese Forderung bezieht sich auf das Grünbuch der Europäischen Kommission, das den Mitgliedsstaaten empfiehlt, bis zum Jahr 2060 das Pensionsalter auf 70 anzuheben. Beim Blick auf die demografische Prognose der Statistik Austria wird schnell klar, dass die Kombination aus steigender Lebenserwartung und gleichzeitig niedriger Geburtenrate in absehbarer Zeit nicht nur das Pensionssystem in eine Schieflage bringt. Auch der Arbeitsmarkt, und im Speziellen die Betriebe, die weiterhin hierzulande produzieren und mit heimischen Arbeitskräften Dienstleistungen erbringen, stehen vor der Herausforderung, aus einem immer knapper werdenden Angebot an qualifizierten Fachkräften auswählen zu können. In rund zehn Jahren werden erstmals weniger junge Menschen auf den Arbeitsmarkt kommen, als gleichzeitig in Pension gehen. Als Folge daraus wird sich in den kommenden Jahren die Altersstruktur der Beschäftigten deutlich verändern. Während der Anteil der unter 30-Jährigen bis 2030 auf 22,3 Prozent sinken wird, steigt laut den Erwerbsprognosen der Statistik Austria der Anteil der über 45-Jährigen auf 39,7 Prozent.
Schon bei den Jüngsten Interesse wecken
Die Inhalte des Beitrags
Da junge Arbeitnehmer eine wichtige Säule für die Zukunft jedes Betriebes darstellen, werden sie verstärkt zu einer begehrten Zielgruppe auf dem Arbeitsmarkt. Ein Unternehmen,das sich zum Ziel gesetzt hat, junge Menschen für den Betrieb und generell für Technik zu interessieren, ist Festo. Der Anbieter aus der Automatisierungsbranche setzt bereits bei den Jüngsten an. Hintergrund dieser Aktivitäten ist der massive Rückgang an technischen Fachkräften und das geringe Interesse von vielen jungen Menschen, im Besonderen von Mädchen, an technisch orientierten Ausbildungen. Bereits seit drei Jahren richtet sich Festo mit dem Projekt „Leonardino“ an Wiener Volksschulen. Mithilfe von Experimentierboxen führt das Projekt Volksschüler spielerisch an Technik heran. Die besten Techniker der Klasse können sich zu einem jährlich stattfindenden Contest anmelden. Zur großen Freude der Organisatoren errang im vergangenen Jahr ein Mädchen den „Goldenen Leonardino“. Neben den Aktivitäten an den Schulen beteiligt sich Festo auch mit einem Bionic-Workshop beim Wiener Ferienspiel und veranstaltet Technikcamps im Burgenland, bei denen die kleinen Forscher am Vormittag technisch experimentieren und am Nachmittag Zeit für sportliche Aktivitäten haben. Was diese Aktionen dem Unternehmen bringen, wird sich jedoch erst in den nächsten 15 bis 20 Jahren zeigen, wenn die Generation der jetzigen Volksschüler die Wahl für ihren Arbeitgeber treffen wird. Einen unmittelbareren Nutzen im Arbeitgebermarketing realisiert Festo durch die Zusammenarbeit mit Polytechnischen Schulen, HTLs, FHs und Technischen Unis. Durch die Ausstattung der Labore lernen die Fachkräfte von morgen bereits in den Schulen die Produkte des Automatisierungsunternehmens kennen. Rund 250 Absolventen bewerben sich jährlich nach ihrem Abschluss bei dem bereits bekannten Unternehmen. Dass die Bemühungen im Bildungsbereich etwas bringen, davon ist Katharina Sigl, Marketingleiterin bei Festo überzeugt: „Mit den Employer-Branding-Aktionen stärken wir zu 100 Prozent unsere Marke. In den Bewerbungsgesprächen erfahren wir dann konkret, woher uns die Bewerber kennen.“
Die Älteren fit und motiviert halten
Während der Nachwuchs knapp wird, wächst die Gruppe der älteren Arbeitnehmer stetig. Unternehmen stehen jedoch vor der Herausforderung, Beschäftigungsfähigkeit und Motivation der 50-Plus zu erhalten und zu fördern. Personalverantwortliche müssen ihre Arbeit auf die spezifischen Bedürfnisse dieser Mitarbeitergruppe ausrichten. Doch genau in diesem Punkt haben viele Arbeitgeber noch einiges zu lernen. Das Ergebnis einer Befragung, die das Beratungsunternehmen Accenture Ende 2009 unter 500 beschäftigten zwischen 50 und 65 Jahren in Deutschland durchführte, zeigte eine steigende Unzufriedenheit älterer Arbeitnehmer. Nur ein Drittel der Befragten war mit den Weiterbildungsangeboten des eigenen Arbeitgebers zufrieden. 63 Prozent bemängelten, dass ihre Bedürfnisse in den Bereichen Gesundheit, Mitarbeiterführung und Karriereentwicklung zu wenig berücksichtigt werden.
Ein österreichisches Unternehmen, das gezielte Aktionen für ältere Arbeitnehmer setzt und daher auch dieses Jahr durch den Sozialminister mit dem Goldenen Nestorpreis ausgezeichnet wurde, ist das Waldviertler Kräuterhandelsunternehmen Sonnentor. Mit 130 Mitarbeitern im Sommer und rund 300 im Winter hat die Belegschaft ein Durchschnittsalter von 42 Jahren. Probleme, geeignete Fachkräfte zu finden, kennt Firmenchef Johannes Gutmann nicht, denn „das gute Betriebsklima ist zu 99 Prozent der Grund für die Bewerbungen.“ Der 45-jährige Unternehmer hat kein Verständnis dafür, dass Unternehmen Bewerber über 45 ablehnen. In den vergangenen Jahren nahm er bewusst ältere Mitarbeiter ins Team. „Die Älteren haben viel Erfahrung und soziales Know-how eingebracht. Diese Menschen sind froh, dass sie wieder einen Platz gefunden haben, bringen Schwung in den Betrieb, sind dankbar und verlässlich. Etwas Besseres kann mir für mein Unternehmen gar nicht passieren.“ Er unternimmt einiges, um die Motivation seiner Mitarbeiter zu erhalten. Älteren Mitarbeitern wird ein neuer Arbeitsplatz geboten, wenn sie ihre Tätigkeit nicht mehr ausüben können. So kommt es mitunter vor, dass Beschäftigten das Heben in der Produktion zu schwer wird oder plötzlich Allergien im Umgang mit den Kräutern auftreten. Um das Know-how im Betrieb zu erhalten, findet der Sonnentor-Chef für den Betroffenen eine andere Aufgabe im Betrieb oder bietet eine Teilzeitlösung an. Auch für Weiterbildung wird gesorgt. Neben fachlichen Kursen gibt es Schulungen zu Themen wie Gesundheit, Ernährung, sportliche Betätigung im Alter und positives Denken. Ziel ist es, das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu steigern und damit Krankenstände zu reduzieren. Die Kosten trägt die Firma, die Kurse finden jedoch außerhalb der Arbeitszeiten statt. Da die Weiterbildungsthemen zuvor gemeinsam mit der Belegschaft festgelegt werden, ist die Beteiligung an den Veranstaltungen sehr hoch. Seine Führungsphilosophie betrachtet Gutmann als Basis für die hohe Motivation in der Belegschaft: „Man muss die Mitarbeiter auch tun lassen, ihnen Vertrauen schenken und auch mal akzeptieren, dass sie gescheiter sind als man selbst. Je mehr man selber loslassen kann, desto mehr tolle Mitarbeiter erhält man, die treu sind und Entwicklungsprozesse mittragen und antreiben.“
Stille Reserven mobilisieren
Eine weitere Arbeitnehmergruppe, die für Unternehmen theoretisch in großer Zahl verfügbar ist, sind Menschen, die keinen formalen Berufsabschluss haben und damit als an- beziehungsweise ungelernt oder „wenig qualifiziert“ gelten. Sie finden sich in der österreichischen Arbeitslosenstatistik unter den am häufigsten und am längsten arbeitslos Gemeldeten. Angesichts der rasanten Veränderungen der Arbeitswelt, der Zunahme an Komplexität und der schwindenden Einsatzmöglichkeiten von Hilfskräften ist es für diese Menschen zunehmend schwierig, beschäftigungsfähig zu bleiben.
Eine Arbeitsgruppe in Berlin hat sich im vergangenen Jahr mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich das Potenzial an wenig Qualifizierten für den deutschen Arbeitsmarkt nutzbar machen lässt. Die Erkenntnisse dokumentiert die Stiftung Neue Verantwortung. Da die demografische Entwicklung in Österreich mit der deutschen vergleichbar ist, sind diese Thesen auch für den heimischen Markt interessant. So zeigten die Experten auf, dass Weiterbildungsangebote hauptsächlich höher Qualifizierte ansprechen, an- und ungelernte sowie ältere Arbeitnehmer nehmen daran besonders selten teil. Von einer gezielten Weiterbildung für An- und Ungelernte würden aber alle profitieren, so das Ergebnis der Untersuchung: die Beschäftigten durch entsprechende Berufsperspektiven, der Staat durch geringere Sozialleistungen und höhere Steuereinnahmen sowie die Wirtschaft durch eine qualifizierte und motivierte Belegschaft.
Zur finanziellen Unterstützung speziell für die Weiterbildung gering Qualifizierter und Arbeitnehmer im Alter ab 45 Jahren hat die deutsche Bundesagentur für Arbeit eigens das Programm „WeGebAU“ initiiert, um Arbeitslosigkeit präventiv zu bekämpfen. Diese öffentliche Förderung, die vergleichbar ist mit der AMS-Qualifizierungsförderung für Beschäftigte im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF), hat der deutsche Sensorenhersteller Sick AG genutzt. Das für seine Aktivitäten mit dem Weiterbildungs-Innovations-Preis des Deutschen Bundesinstituts für Berufsbildung ausgezeichnete Hightechunternehmen, hat Weiterbildung in der Produktion und Logistik für an- und ungelernte sowie ältere Mitarbeiter angeboten – und zählt damit zu den Vorreitern. „Vor dem Hintergrund, dass wir zukünftig weniger Fachkräfte finden werden, wird sich das mittelfristig auch in anderen Unternehmen durchsetzen“, ist Personalleiter Rudolf Kast überzeugt. In der Gestaltung der Programme habe das Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass man lernentwöhnten Zielgruppen viel stärker das Lernen in ihrer gewohnten Arbeitsumgebung ermöglichen müsse. „Lernschritte müssen in Häppchen verpackt werden, es soll so viel Spaß wie möglich machen und braucht ganz viel Einfühlungsvermögen“, so der HRVerantwortliche. Während die Qualifizierung „Einführung neuer Produktionstechniken“ als Pflichtprogramm für alle in der Produktion während der Arbeitszeit stattfand, haben die Lagermitarbeiter ihre Berufsausbildung zum Logistiker in der Freizeit absolviert. Da das Unternehmen den Mitarbeitern zuvor versprochen hatte, dass alle, die das Programm abschließen, weiter beschäftigt würden, war die Motivation zur Teilnahme sehr hoch. Kast ist überzeugt, dass sich die Qualifizierung für Sick gelohnt hat: „Mit der Qualifizierung haben wir deutlich die Produktivität steigern können.“
Die drei genannten Beispiele zeigen, dass gezielte Aktionen für bestehende und künftige Mitarbeiter nicht bloß Sozialromantik sind. Wirtschaftlicher Erfolg ist zwar die Voraussetzung für die Finanzierung solcher Vorhaben. Ohne nachhaltige Aktionen wird ein solcher aber in der Zukunft ausbleiben, wenn Unternehmen der Nachwuchs fehlt, die Älteren vorzeitig in Pension geschickt werden und Personalentscheider die Anstellung weniger Qualifizierter gar nicht erst in Erwägung ziehen.
Die Politik hat dabei einen wesentlichen Einfluss. Reformen sind gefragt im Bildungswesen, in der Arbeitsmarktpolitik aber auch im Sozial- und Pensionswesen. Dass Aktionen aber auch schon heute, in bestehenden Systemen, möglich sind, zeigen die drei vorgestellten Betriebe. Wenn mehr Unternehmen diesen Vorbildern folgen, kann in Zukunft Arbeiten bis 70 in einem kreativen, gesundheitserhaltenden und motivierenden beruflichen Umfeld Spaß machen und zu wirtschaftlichem Erfolg der Unternehmen und unserer alternden Gesellschaft führen.
(Beitrag erschienen in personal manager 5/2010) – Text Andrea Jindra
Den Beitrag „Megatrend demografischer Wandel“ gibt es auch als Download auf der Seite von Die BILDUNGSMANAGER.
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Über die Autorin:
Mag. Andrea Jindra ist Trainerin, Beraterin und Coach mit den Coaching-Schwerpunkten auf Karrierecoaching und berufliche Entwicklung in Wien.